ANDRÉ WISCHNEWSKI

CATALOG


kunstraum friesenstrasse I Hannover I 2022

 WORKS


von Fall zu Fall
case by case

2021 - 2023
Rauminstallation variabel / Sitespecific
installation variable

Ohne Titel (abgeschweift)
Untitled (digressed)

2021
Stahl / Steel
Rauminstallation variabel / Sitespecific
installation variable

Soundpieces 2.0

2020 - 2022
Messerschnitt / Knife cutting

Comicheftseiten / Comic book pages

  • Ohne Titel*
    Untitled*

    2021 - 2022
    Gips, Stahl / Plaster, Steel
    Rauminstallation variabel / Sitespecific
    installation variable

    276 Zeichen incl. Leerzeichen
    Leerzeichen: je 55 x 10 x 3,5 cm
                   U / J: je 55 x 17 x 7,6 cm
                        I: je 55 x 6,8 x 7,6 cm



    *Begleitkommentar / voice-over

     „links unten rechts oben“
    „bottom left top right"

    2021
    Kupferblech / Copper
    je 48 x 24 x 17 cm

    Naherholungsgebiet
    Recreation area

    2021 - 2022
    Stahl / Steel
    Rauminstallation variabel / Sitespecific
    installation variable

    Ooonomatopoetikum
    Ooonomatopoeia

    2020
    Stahl / Steel
    Rauminstallation variabel / Sitespecific
    installation variable

  • Soundbooks 2.0

    2020
    Messerschnitt / Knife cutting
    Comicbücher / Comic books

    wattige Nacht...
    fluffy night

    2020
    Messerschnitt / Knife cutting

    Comicheftseiten / Comic book pages

    Scenery

     2020 - 2021
    Messerschnitt / Knife cutting

    Comicheft / Comic book

    Shift

    2020
    Albert - Ludwigs - University Freiburg
    Research building IMBIT
    (Intelligent Machine-Brain Interfacing Technology)
    Stahl / Steel
    505 x 1100 x 320 cm

    Wasserspiel
    Fountain

    2019
    Stahl, Messing, Kupfer / Steel, brass, copper
    400 x 190 x 150 cm

    Kategorischer Imperativ
    Categorical imperative

    2019
    Stahl, Keramik / Steel, ceramic
    80,5 x 136 x 177 cm

    101967 mm and Five Characters

    2019 - 2022
    Stahl, Holz, Diabas, Blech / Steel, wood, diabase, metal
    Rauminstallation variabel / Sitespecific
    installation variable

  •  Platzkonzert

    2018 - 2020
    Stahl / Steel
    Rauminstallation variabel / Sitespecific
    installation variable

    aw_open source

    2019
    Stahl, Papier / Steel, paper
    168 x 147,5 x 102 cm

    pop-ups

    2018
    Stahl / Steel

    Rauminstallation variabel / Sitespecific
    installation variable

    92295 mm with open end

    2018 - 2019
    Stahl / Steel
    Rauminstallation variabel / Sitespecific
    installation variable

    Whatever you say

    2018
    Skulpturenpark Heidelberg
    Stahl / Steel
    350 x 400 x 200 cm

    Ohne Titel
    (durch Abwesenheit glänzen)

    Untitled (be conspicuous by one´s abscence)

    2018
    Botanischer Garten Karlsruhe
    Plexiglas / Perspex
    Rauminstallation variabel / Sitespecific
    installation variable

    Ohne Titel (merged)
    Untitled (merged)

    2018
    Stahl, Kalkstein, Plexiglas / Steel, perspex, shell limestone
    30 x 120 x 120 cm

    Whatever you say - was immer du erzählst

    2017
    Stahl / Steel


    Maps

    2017
    Fotoprint, Stahl / Photo print, steel

    HMMMN DADADADAT HHMMNN(OE)R...

    2016
    Teppich, Stahl, Graphit / Carpet, steel, graphite
    210 x 350 x 15 cm

    Später, nachdem sich alle zurückgezogen haben, hängt jeder seinen eigenen Gedanken nach...
    When everyone retreats, each one pursues his thoughts ...

    2016
    Messerschnitt / Knife cutting
    3 Comichefte / 3 Comic book
    29 x 21 cm

    DOKDOK_DOKDOK 

    2016
    Stahl / Steel
    Rauminstallation variabel / Sitespecific
    installation variable

     Soundbooks

    2016
    Messerschnitt / Knife cutting
    Comicbücher / Comic books

    Soundpieces

    2016
    Messerschnitt / Knife cutting

    Comicheftseiten / Comic book pages

    TAETERAETAEAEAEAEAE ...
    Aufbauschung einer Belanglosigkeit

    TAETERAETAEAEAEAEAE ...
    Dramatisation of a trivial matter

    2016
    Stahl, Draht / Steel, wire
    180 x 1200 x 22 cm

    TA-DAAH

    2015
    Kupferblech / Copper
    20 x 80 x 12 cm

    CURRENT


    13. April – 16. Juni 2024
    Wilhelm-Hack-Museum


     
    Vernissage:
    Freitag, 12. April 2024
    18:00 Uhr Kunstverein Ludwigshafen
    19:30 Uhr Wilhelm-Hack-Museum

    Künstlergespräche:
    Termine folgen.

    Öffnungszeiten:
    Di - Mi 11:00 - 18:00 Uhr
    Do        11:00 - 20:00 Uhr
    Fr - So  11:00 - 18:00 Uhr

    Wilhelm-Hack-Museum
    Berliner Str. 23
    67059 Ludwigshafen am Rhein

    www.wilhelmhack.museum

    09. März – 28. Mai 2022
    kunstraum friesenstrasse


     
    Später, nachdem sich alle zurückgezogen haben,
    hängt jeder seinen eigenen Gedanken nach ...

    Vernissage:
    Mittwoch, 09. März 2022, 18:00 Uhr

    Künstlergespräch:
    Samstag, 07. Mai 2022, 17:00 Uhr


    Öffnungszeiten:
    Freitag und Samstag
    16:00 bis 19:00 Uhr
    und nach Vereinbarung
    0511.604 999 23
    mail@kunstraum-friesenstrasse.com


    kunstraum friesenstrasse 
    Friesenstraße 15
    30161 Hannover

    www.kunstraum-friesenstrasse.com

    Text: Carolin Heel

    REVIEW

    NEWS


    TEXTS


    Später, nachdem sich alle
    zurückgezogen haben, hängt jeder
    seinen eigenen Gedanken nach…


     Um in die Arbeiten von André Wischnewski einzuführen, möchte ich mich über ein bestimmtes Phänomen nähern und über die Begegnung sprechen. Denn sie ist es, die in dieser Ausstellung gleich mehrmals zum Vorschein kommt.
    Zunächst begegnen sich hier die zeichnerische Linie und das Skulpturale. Dieses Zusammentreffen bedeutet nicht nur die Besonderheit der Sammlung Gisela Sperlings, sondern es betrifft auch im Speziellen die Arbeiten des Künstlers André Wischnewski. An der Kreuzung zwischen der verbalen Sprache und dem bildhauerischen Werk, erhebt der Künstler die Linie an einigen Stellen zu stählernen haptischen Raumzeichnungen, in seinen Papierarbeiten wiederum schaffen die Umrisslinien Platz für Handlungsräume und Leerstellen. Schnell wird der Bezug zum Comic deutlich, dem Zwischenmedium von Sprache und Darstellung, welches er in ganz besonderer und facettenreicher Weise bildhauerisch transformiert.
    Und dann erleben wir weiter eine ganz formale Begegnung: und zwar zwischen den Werken der Sammlung und denen des Künstlers. Damit möchte ich auch gleich auf die Grundbedingung aller Begegnung verweisen, nämlich auf das gegenseitige Erkennen.

    André Wischnewski
    Bevor aber auf diese grundlegende Philosophie der Begegnung eingegangen wird, sollen also die vielzähligen Begegnungen in den Werken Wischnewskis besprochen werden. Der Bildhauer hat sich auf eine ganz besondere Beziehung spezialisiert, nämlich auf das Zusammentreffen von Sprache und Werk, von Sichtbarem und Sagbarem. Hier begegnen sich zwei Bereiche, deren jeweilige Zeitlichkeiten unterschiedlicher nicht sein könnten: denn das gesprochene Wort ist für unsere Sinne nicht zu halten, es ist höchstens als innerer Nachhall für kurze Zeit noch zu vernehmen, aber entzieht sich unserer Festhaltbarkeit. Die Dynamik des gesprochenen Wortes ist also erstmal nicht zu konservieren. Dagegen steht mit der Skulptur ein traditionell un-dynamisches und monumentales Programm gegenüber. Hier befinden wir uns doch eigentlich bei einer ganz klassischen Problemstellung der Kunstgeschichte, nämlich der Paragone von Sprache und Bildlichkeit.  

    Weiter trägt auch die geschriebene Sprache – die Schrift – Elemente in sich, deren Übersetzung nicht einmal in die gesprochene Sprache möglich ist: ihr Bereich ist die Fläche, die durch Satzzeichen begrenzt wird. Diese Satzzeichen sind unaussprechliche Verbindungsstücke und Intensivierungen – Zeichen, die oftmals als stumme Diener die Kommunikation lenken, wie etwa geschweifte Klammern und Semikola. Die Schrift hat damit ganz eigene Gesetze: Der Philosoph Nelson Goodman gab in seiner Definition des Schriftbildes an, dass dieses eben aus Lücken und Leerstellen bestehe und es sich gerade durch diese Zwischenräumlichkeit auszeichne. Darin unterscheiden sich mit Goodman Bilder und Schriftbilder: das Schriftbild zeichnet sich durch seine Leerstellen aus, durch die Räume zwischen den Zeichen, während Bilder eine kontinuierliche Dichte besitzen.
    Wir haben es also sowohl beim gesprochenen als auch beim geschriebenen Wort mit einer ganz eigenen Gesetzhaftigkeit zu tun und ihre Übertragung in einen anderen Zustand scheint ein problematisches Unterfangen. Hier nun kommt die Besonderheit der Bildhauerei ins Spiel: André Wischnewski überträgt eben genau jene Momente des Nicht-Greifbaren der Sprache in den Raum, indem er Versatzstücke zwischenmenschlicher Kommunikation zu haltbaren Größen und räumlichen Interventionen ernennt. Lautsprache und Dynamiken des Blattes werden dann zum Skulpturalen. Das bedeutet eine Gleichzeitigkeit von Sprache und Lauten, von Bild und Atmosphäre, die so genau aus einem bestimmten Genre bekannt ist, das ich bereits erwähnte und dessen Ordnungen sich Wischnewski bedient: dem Comic.

    Ebendiese Gleichzeitigkeit in der Bildhauerei betrifft aber nicht nur die Sprache, sondern auch weitere ikonische Elemente des Comics, die Wischnewski ins Räumliche übersetzt. Gleich wenn wir hier die Empore betreten, stehen wir so einer Dynamik gegenüber: die Arbeit
    von Fall zu Fall #2 aus seiner Werkserie der Fallereignisse ist eine form- und immanent gewordene Bewegung; eine dynamische Skulptur. In der Transformierung eines eigentlich unhaltbaren Augenblicks – dem freien Fall – wird bei Wischnewski die stahlgewordene Linie zur aktiven Anzeige für eine Momenthaftigkeit, die durch die Gesetze des Comics und der bildhauerischen Materialität zusammenkommt. Wir kennen das vom Comicblatt: Triebkraft, Schwung und Aktivität können dort mit einer ganz speziellen zeichnerischen Formsprache, wie durch die Zackenlinie, bildlich gemacht werden – in die Dreidimensionalität übertragen wird diese Energie in einem realen Raum erfahrbar. Damit wird nicht nur die Ordnungsmatrix des Blattes überwunden, sondern hier gerät auch die Begrenztheit des Ausstellungsraumes ins Wanken. Dieser wird zur Spielfläche bildhauerischer Vermittlung, indem die Linien des Fallereignisses – hier im kunstraum friesenstraße – eine Verbindung der Stockwerke vorgeben.
    Folgt man dieser Verbindung über die Treppe, wird man von stählernen Klammern im Obergeschoss begrüßt und ins Verhör genommen. Hier steht uns eine Raumintervention entgegen, die unsere Auseinandersetzung aktiv vorgibt: wir müssen uns an den stählernen Vertikalen vorbei in den Raum tasten; unsere Wege sind damit bereits einigermaßen bestimmt. In der Schrift wird das Nebensächliche in Klammern gehüllt, hier werden sie überdimensioniert zu Unterbrechungen des Raumes. Ein Naherholungsgebiet, so der Titel dieser räumlichen Schichtung, ist üblicherweise ein wenig bebautes Areal abseits der Ballungsgebiete. Gegenteilig zum Titel wird hier aber gerade die Enge zwischen den Zeichen spürbar, die unser eigenes Eingeklammert-Sein vermisst. Die Leerstellen werden für uns zu begehbaren Zwischenräumen; wir werden in ihrem Betreten zwangsläufig in die Klammer genommen und zu aktiven Teilnehmer:innen dieser Konfrontation. Ich erinnere an die Definition des Schriftbildes von Goodman: von Wischnewskis Klammern ins Verhör genommen, stehen stehen wir anstelle des dritten Zeichens zwischen zwei Schriftzeichen, füllen die Dichte, greifen in die Zwischenräumlichkeit der Sprache ein. Gerade in der abstrahierten Konzentration wird ebendiese Darstellung der Zwischenräume erst möglich, die so zu einer Besonderheit der Bildhauerei werden; und nur durch die Herauslösung können wir mit ihnen ins Gespräch kommen und der Arbeit im Raum begegnen.

    Indem Wischnewski also die Outlines des freien Falles nachempfindet oder die unsichtbaren Linien der Sprache in den Raum stellt, generiert er dieses Zusammenspiel aus Sichtbarmachung des eigentlich Nicht-Darstellbaren in einem real-gewordenen ästhetischen Raum und damit auch unsere Setzung in diesem Zeichensystem. Es erinnert mich an ein Zitat des Künstlers Lawrence Wiener über die Linie:  

    Each Act Must Have Consequence
    Each Line Does Have Meaning
              Lawrence Weiner

    Das Zitat des Konzeptkünstlers scheint mir für die Arbeiten Wischnewskis treffend, denn der amerikanische Künstler wurde dafür bekannt, auch ebendas zur Skulptur zu machen, das nicht da ist. Wiener veröffentlichte 1968 eine künstlerische Absichtserklärung, in der er den gemeinsamen künstlerischen Prozess durch Künstler und Rezipientenschaft verkündet. Hier verweist Wiener auf die Konsequenz jeder künstlerischen Handlung und die aktive Ausführung durch die Rezipierenden. Im 2. OG. dieser Ausstellung befindet sich ein Werk Wischnewskis, das sich mit dem Titel Kategorischer Imperativ einem ähnlichen Verhältnis von Ausführung und Handlung widmet: der Kategorische Imperativ gibt als feine Raumzeichnung eine Handlungsweise vor, die Installation zu betreten und eine Haltung der Rezeption anzunehmen.
     Damit erreicht der Bildhauer durch eine Reduktion auf die Umrisslinie auch unsere Lenkung im Raum und der Rezeption. Nicht nur erschafft er Zwischenräume, wie auch die Klammern sie bereitstellen, sondern durch diese bildhauerischen Handlungen wird gelenkt, was wir als Raum anerkennen und ursprünglich eigentlich nur Linie war. Besonders spannend an den Arbeiten Wischnewskis ist – das dürfte in den bereits vorgestellten Arbeiten deutlich geworden sein – der Zusammenfluss aus Werk und Titel: auch hier trifft sich die Sprache mit dem haptischen Werk und sie verbinden sich zur Deutung. So unterstreicht die bildhauerische Offenheit und Begehbarkeit der Arbeit Kategorischer Imperativ den Gehalt des Sprachlichen: die Offenheit der Arbeit entspricht gleichzeitig einer Aufforderung des Eintritts – wer sie erkennt, muss Teil dessen sein.

    Wie die Rückführung auf wesentliche Elemente neue Räume entstehen lässt, zeigt Wischnewski auch mit den Papierarbeiten im 2. OG., die rein formal ihre Affinität zum Comic-Buch nicht bestreiten können. Seine Soundbooks und Soundpieces sind nun in einem anderen Verhältnis zu uns geordnet als die Raumskulpturen aus Stahl. Sie stehen uns nicht als Charaktere im Raum entgegen, sondern fordern zunächst eine recht gewöhnliche Rezeptionsweise: das nahe Herantreten an das Blatt, das dann üblicherweise eine Bilderfolge angibt. Doch diese Papierarbeiten sind ihrem Ursprung des Comic-Blatts entfremdet: Im Cut-Out-Verfahren des Messerschnitts lässt der Künstler nur die Umrisslinien der Bildanlagen stehen und macht in Betonung der umgebenden Linie das strukturierte Layout sichtbar. Dieses wird nun ausgehöhlt zur Leerstelle und indem die Blätter geschichtet werden, gehen die einzelnen Leerstellen der Seiten miteinander ins Gespräch. Die Chronologie eines Comic-Buches wird traditioneller Weise durch das einzelne Blättern der Seiten erst nach und nach erschlossen: Wischnewski enthebelt nicht nur diese tradierten Zuordnungen von Zeitlichkeit und Chronologie des Blattes, sondern spielt auch mit dem Verhältnis von Fläche und Tiefe. Indem er nur die Umrisslinien der Bildanlagen stehen lässt und diese schichtet, wird eine Tiefe der drapierten Messerschnitt-Arbeiten generiert, die ihrem Zusammenspiel eine eigene Narrativität zusprechen. In der Simultanität der Leerstellen werden so Dynamiken sichtbar – die Bildanlagen und ihre Schichtung halten ganz ohne comic-typische Bebilderung die Energie des Erzählens bereit. Den Bildern entledigt, bleibt darin einzig die comic-typische Lautschrift als wesentliches Element bestehen, um die jeweilige Stimmung des Blattes zu bekräftigen. Das sind Textstücke und Laute, die in der Kommunikation des Comics Stimmungen affizieren, intensivieren und einbetten. Emotionen, wie etwa die Wut, werden von einem knurrenden „GRRR“ in greller Typografie begleitet; dynamischen Geschehnissen und Effekten, wie etwa einem freien Fall, wird dann vielleicht ein „BOOM“ zur Seite gestellt.
    Die Präsentation dieses eigentlich Nebensächlichen – wie es Laute, Geräusche und Sprachfetzen normalerweise bedeuten – dienen hier aber nicht der Unterstreichung einer Narration, sondern sie werden zum führenden Element der Arbeit. Sie sind nicht nur das übrig-Gebliebene, sondern sie geben den Soundpieces eine explizite narrativierende Kraft. Damit wird auch Verbales selbst zum Ikonischen. In der Visualisierung von Geräuschkulissen, wird ein besonderer Grenzgang zwischen Sichtbarem und Sagbarem provoziert. So ist es nicht verwunderlich, dass Wischnewskis Behauptung eines Klangstückes durch das Auge rezipiert wird.

    Wir bleiben bei einer solchen Verwirrung der Sinne: denn im nächsten Raum umgeben uns Ergänzungen der Sprache als architektonisches und haptisches Element: das Begleitkommentar Wischnewskis ist ein raffiniertes Spiel zwischen Semantizität und Ornament. Als Gipsbordüre hangeln sich „ujujuj’s“ an der Wand entlang, umgeben uns und führen damit sprachliche und architektonische Parameter des Umzwingelns (oder: Umgebens) zusammen. Dem Buchstaben wird nicht nur durch die Haptik bildhauerischer Qualitäten zugesprochen: das Verstummen von Lauten wird hier in ein architektonisches Zusammenfallen übersetzt. Indem die Gips-Buchstaben plötzlich der Schwerkraft zuhören müssen, bringt der Bildhauer mit humoristischer Qualität eine Leichtigkeit in das Spiel zwischen den Kategorien. Das Ornament ist ein sich wiederholendes Muster mit symbolischer Funktion. Neben der Ordnung der Räume kennen wir dieses Prinzip etwa aus Briefköpfen. Doch diese Zusammenführung, die nun schriftliche, architektonische und verbale Semantiken betrifft, ist eine besondere Kreuzung. Wischnewski zeigt eine Parallelität von architektonischer und sprachlicher Umhüllung: mit einem Augenzwinkern verbindet der Bildhauer die beiden Techniken und überlistet nicht nur gemeine Sinnes-Zuordnungen, die Ohren und Augen betreffen, Fläche und Räumlichkeit, sondern auch die Disziplinen Architektur und Schrift.

    Das Begegnen
    Gehen wir nun durch die beiden Stockwerke, gelangen wir an markierte Orte der Begegnung. Zunächst von Schrift und Bildhauerei, Fläche und Tiefe, Linie und Raum: und dann hält diese Ausstellung doch ein ganz besonderes Aufeinandertreffen bereit, indem nicht nur die Werke des Künstlers Wischnewskis ausgestellt sind, sondern indem der Künstler einige Werke der Sammlung gewählt hat, die seinen räumlichen Interventionen heute Beiseite stehen.
    Im Eingangsbereich des Untergeschosses sehen wir die Arbeit 92397 mm and Three Characters. Die dynamischen Linien verbinden sich hier mit zusätzlichen Bausteinen, die wie herumschwirrende Glieder einer Erzählung wirken: eine Blechspitze, ein Holzgriff und eine Pfeife als Markerpunkte für Geschehnisse und Narrationen. Die stählernen Umrisslinien verstanden als Eckpunkte unserer Momentaufnahmen; wie aus den Comic-Bildanlagen wirken dann die Gegenstände lose eingesetzt. Ihr Gegenüber solcher ausgelöster Erzählpunkte findet sich dann in einem Werk der Sammlung; genauer in einem Werk von Thomas Schütte. Sind doch auch seine blauen Hüte eine Reduktion, sind sie doch symbolhafte Anzeige und Erkennungsmerkmal für Schüttes Oeuvre, indem er durch abstrahierte Figürlichkeit, Narrative menschlichen Zusammenlebens unterbreitet.
    Insgesamt vier solcher Treffen aus den Werken der Sammlung und seinen eigenen Arbeiten stellt uns Wischnewski heute vor.

    Die Strategie der Ausstellung greift damit die Besonderheiten der künstlerischen Begegnung auf: denn eine Begegnung der Werke ist durch ein gegenseitiges Erkennen bedingt – von bestimmten Momenten des Aufeinandertreffens, indem Punkte der Bilder und Skulpturen ein Ähnliches meinen und miteinander ins Gespräch gehen können. Damit wird in dieser arrangierten Begegnung zu einer konkreten raumzeitlichen Situation zusammengeschlossen, die nur so und nur hier für unsere Begegnung mit Ihnen bereitsteht, mit uns ins Gespräch geht und von bestimmten Narrativen berichtet. Zwei Paramater bestimmen die Begegnung: zum einen, das gegenseitige Erkennen, das hier vom Künstler geleistet wurde. Und zum anderen: die Zeit. Denn eine Begegnung lebt genau davon, dass sich die Teilnehmenden zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort erkennen und begrüßen, jedoch nicht gänzlich vermischen. Es verhält sich ähnlich mit diesem Text: er kann die Dinge nicht tatsächlich berühren, sondern ihnen nur durch Worte begegnen – damit vielleicht auch die Werkzeuge für das gedankliche Aufeinandertreffen vorstellen, das wir selbst vornehmen, wenn wir der Ausstellung begegnen, ihr gegenüber-stehen, Teil ihrer werden – bevor wir die Interventionen wieder hinter uns lassen, und unseren eigenen Gedanken nachhängen.



    Carolin Heel
    Diese Rede wurde anlässlich der Eröffnungder Ausstellung am 09.03.2022 gehalten.

    Whatever you say


    „Whatever you say“ - eine um das Zwanzigfache in Stahl monumentalisierte
    Comicheftseite - lässt zunächst an eine verbogene, gekrümmte architektonische Struktur denken. Indem André Wischnewski zu Gunsten einer gesteigerten Abstraktion auf die explizite Symbolik der vorangegangenen Arbeiten verzichtet, stellt das Werk eine konsequente Fortführung und Steigerung von „Sound 1“ (2016) oder „Später, nachdem sich alle zurückgezogen haben, hängt jeder seinen eigenen Gedanken nach …“ (2016) dar.
    Diese sind Comicbücher, ihrer ureigensten Codes, den Bildern, beraubt, verwandelt in zufällig anmutende Rastersysteme, in welchen nahezu tautologisch anmutende Dialogfragmente als auch der dem Comic eigene lautmalerische Elemente als bezugsfreie Zitate anklingen.

    In der für den Skulpturenpark Heidelberg angefertigten Skulptur „Whatever you say“ - Was immer du erzählst - kehrt André Wischnewski diesen Prozess um. Was vorher das Eingreifen und Transformieren des Fundstücks in Form eines fragilen Comicheftes war, wird zum begehbaren Stahlkonstrukt, dessen Farbe und Anordnung seiner Rasterfelder als Echo seines Ursprungs, des Comicheftes, erhalten bleibt.

    Die überformte, wellenartige Bewegtheit der Skulptur wird zum betretbaren Gehäuse. In dieser quasi Architektur verschwimmen die Grenzen zwischen Form und Volumen, Innen und Außen, Kunstwerk und Rezipient, welcher, tritt er denn in einen der Rahmen des Objektes ein, einerseits Bestandteil einer möglichen Bildergeschichte sein könnte, andererseits auch, im Anklang an den Titel der Skulptur „Whatever you say“, als Platzhalter für eine Sprechblase dienen würde.
    Das Oszillieren zwischen Verortung und Infragestellen, Mensch und Objekt fußt auf
    André Wischnewskis Beschäftigung mit utopischen Architekturen als auch der Auseinandersetzung mit Künstlern wie Michael Heizer, ein Vertreter der Land Art oder Site Sculpture. Das Doppelbödige und Brutalistische dessen monumentaler Landschaftsinterventionen, z. B. „Double Negative“ (1969) oder „City“ (1970, unvollendet), überführt  André Wischnewski in einen luftigen Minimalismus, in welchem sicher auch eine gesunde Prise Humor mitschwingt.
    „Whatever you say“  könnte auch als eine sensible Reminiszenz an Eduardo Chillidas „Peine del viento - Windkämme„ (1977) an der Küste San Sebastians, dessen rostige und verdrehte Zinken sich dort krude gegen die See und die mitunter heftigen Böen behaupten, verstanden werden. Die harte Formensprache Chillidas bewegender Metapher des menschlichen Daseins transponiert André Wischnewski in die Leichtigkeit eines vom Wind verwehten Blattes Papier, dessen Chiffre doch zugleich auch von einer gewissen Vergeblichkeit zeugt: Whatever you say.

    Alexander Horn

    Hier und Anderswo


    Jochen Hautzdorf und André Wischnewski in den Schauhäusern des Botanischen Gartens.

    Die Schauhäuser des Botanischen Gartens sind geschützte Orte für das Anderswo. Hier wächst, was draußen unter den klimatischen Bedingungen dieses Breitengrades nicht gedeihen kann – tropische Pflanzen, Kakteen, Palmen. In den Schauhäusern blüht es, während es im Botanischen Garten schneit, eine so ferne wie exotische Flora findet unter diesen Dächern das geeignete Milieu, um mitten in Karlsruhe wachsen zu können. Wer also das Tropenhaus, das Palmen- oder Kakteenhaus betritt, ist gleichermaßen hier und anderswo, auf bekanntem Terrain und an einem fernen Ort.
    Die Künstlichkeit dieses im buchstäblichen Sinne deplazierten Ortes ist der
    Ausgangspunkt für die bildhauerische Arbeit von André Wischnewski. Wobei derKünstler sich weniger mit den hier dargebotenen exotischen Pflanzen beschäftigt, als mit dem, was diesem Einblick in die Flora einer anderen Klimazone fehlt: mit dem akustischen Leben, ohne das die isolierte Pflanzenwelt zum Bild erstarrt. Es ist die lautliche Abgeschiedenheit im Innenraum der Schauhäuser, das weitgehende Fehlen von akustischen Milieus, welche das Sichtbare in das Hörbare einbetten, die Wischnewski zum Gegenstand seiner Arbeit macht. Ist das ein Gegenstand? Wenn ja, so ist es zumindest einer, der sich entzieht, der nicht nur durch Abwesenheit glänzt, sondern der an sich ungreifbar ist. Wischnewski macht ihn manifest.
    Er bekommt das Gewicht einer Skulptur, eine mit Händen zu fassende Dichte. Was sich in Plexiglas zu schwer entzifferbaren Formationen stapelt, sind Transkriptionen potenzieller Geräusche – und zwar verschlüsselt als Punzen, welche die lokale Abwesenheit der Laute noch in der Schriftform reflektieren. In den Skulpturen von Wischnewski kondensiert sich das akustische Milieu dieser deplatzierten Natur zu so sichtbaren wie unlesbaren, so transparenten wie undurchschaubaren Gebilden. Es sind Kristalle einer obskuren Geräuschkulisse, in denen sich nun das Licht und die Blicke der BesucherInnen verfangen.
    Während André Wischnewski die Transparenz der verglasten Schauhäuser im Plexiglas seiner Lautskulpturen aufnimmt, arbeitet Jochen Hautzdorf mit den lokalen Materialien Stahl und Pflanzen. Dabei ist die Form seiner Skulptur ebenso entlehnt, wie ihre Funktion: ein überdimensioniertes Hufeisen als Klettergerüst für Schlingpflanzen. Obgleich auf vier Meter Höhe aufgeblasen, gehorcht die
    Arbeit von Hautzdorf doch dem Prinzip der Mimikry – nämlich einer allmählichen Angleichung an ihr unmittelbares Umfeld, einer verschwiegenen Einfügung ins vorgefundene Milieu. Das liegt nicht nur an der Wahl der Materialien, in denen Konstruktives und Vegetabiles ineinandergreifen. Die Disproportion des Hufeisens, das gewöhnlich als Glücksbringer über Türstürzen hängt, erzeugt Familienähnlichkeiten zu den Torbögen und Umgängen, die sich im gestutzten Grün des botanischen Gartens finden. Während das Klettern der Pflanzen die Skulptur imLaufe der Ausstellung immer weiter an diesen Ort assimilieren wird, an dem Natur und Künstlichkeit nicht voneinander zu trennen sind.

    Carolin Meister

    ABOUT


     André Wischnewski

    *1983 in Crivitz, lives and works in Mannheim


    BIOGRAPHY

    2018 - 2019             Master student at Academy of Fine Arts Karlsruhe,
                            class of Prof. Harald Klingelhöller
    2013 - 2018             Diploma at Academy of Fine Arts Karlsruhe,
                            class of Prof. Harald Klingelhöller
    2004 - 2008          Diploma at Academy of Fine Arts Mannheim
    2000 - 2003           Vocational education as architectural draftsman
                            Specialization in building constructions


    EXHIBITION

    2022                      Später, nachdem sich alle zurückgezogen haben, hängt jeder seinen
                                   eigenen Gedanken nach... | kunstraum friesenstrasse Hannover
    2021                       Kalinowski-Preis | Academy of Fine Arts Karlsruhe
                                    SETUP | Kunstverein Worms
                                    ZIG ZAG | Kunstverein Bad Dürkheim
                                    ...mit Verlaub | Laube Karlsruhe
    2020                       WORTGEWANDT | Neues Kunsthaus Ahrenshoop
                                    DELTABEBEN REGIONALE | Kunsthalle Mannheim
                                    Wir sind hier | Heidelberger Kunstverein
                                    REC | Galerie Sebastianskapelle Ulm
    2019                        Frischzelle_26 | Kunstmuseum Stuttgart
                 TOP_0019 | Städische Galerie Karlsruhe
                 Jahresgaben | Heidelberger Kunstverein
    2018                        Brunnen umspielende Vegetation | Botanical Garden, Karlsruhe
                 Junge Kunst-Junge Künstler | Skulpturenpark Heidelberg
    2017                        Salon Ehman Arnold | Karlsruhe
    2014                        Im Überblick. Repertoir III, Kunstverein Germersheim
    2013                        Beyond Borders | Kunstverein Ludwigshafen
    2011                         Temporary outdoor artwork at the Mannheimer Kunsthalle
    2008                       Skulpturenhof | Mannheimer Kunstverein


    AWARDS

    2022                       NEUSTART KULTUR-Scholarship of the Stiftung Kunstfonds | Bonn
                                    Studio Funding | City of Mannheim
    2021                        Kalinowski-Award | Stiftung Kunstfonds | Bonn
                                    Project scholarship | MWK Baden Württemberg
    2020                       NEUSTART KULTUR-Scholarship of the Stiftung Kunstfonds | Bonn
    2019                        Architectural art | IMBIT | Freiburg
    2018                        Award winner of the Manfred Fuchs-Preis | Skulpturenpark Heidelberg
    2017                        Scholarship of the Heinrich-Merz-Company Karlsruhe
    2016                        Award winner of the Academy of Fine Arts Karlsruhe

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